Internationale Getreidepreise unter das Niveau vor dem Ukraine-Krieg gefallen

Nachfrage nach Mahl- und Qualitätsweizen aus Österreich - neue Qualitätsstufen gebildet

Wien, 8. September 2023 (aiz.info). - Trotz Bombardierungen ukrainischer Getreideexport-infrastruktur und der Ablehnung Russlands, den aufgekündigten Getreidedeal für sichere Exportrouten über das Schwarze Meer wieder aufzunehmen, gaben die internationalen Weizen- und Maisnotierungen über den Sommer weiter nach und liegen nun deutlich unter dem Niveau vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Die Prognosen für die globalen Versorgungsbilanzen gehen von einem Bestandsabbau beim Weizen von einer großzügigen Ausgangslage aus und von einem spürbaren Bestandsaufbau bei Mais. Die Getreidepreise bilden daher zurzeit eine Entspannung am Schwarzen Meer und der Versorgungslage ab, aber nicht die nach wie vor auf dem extrem stark gestiegenen Niveau verharrenden Produktionskosten.
 
Die Sommerernten in Europa brachten nach zahlreichen Unterbrechungen durch Regen zum Teil deutliche Qualitätsverluste. Die noch Großteils vor den Regen eingebrachte Weizenernte hierzulande brachte infolge hoher, überdurchschnittlicher Erträge niedrigere Proteinwerte aber sehr gute Backeigenschaften und findet in den Segmenten Mahl- und Qualitätsweizen Nachfrage.
 
Mögliche Deals zwischen Türkei und Russland sowie in der EU zu Exportrouten
 
Neben der Bewertung der Fundamentaldaten wie Versorgungsbilanzen gehen die Internationalen Terminmärkte offensichtlich vor allem davon aus, dass die Versorgung der Weltmärkte mit Getreide vom Schwarzen Meer auch ungeachtet der dort kriegerischen Ereignisse und Getreidedeal hin oder her funktioniert. Tatsächlich hat die Ukraine in den ersten acht Wochen des am 1. Juli begonnenen neuen Wirtschaftsjahres ungeachtet der Beendigung des Getreidedeals und der russischen Angriffe auf ihre Exporteinrichtungen mit 4 Mio. t mehr Getreide exportiert als in der Vergleichsperiode ein Jahr zuvor.
 
Kürzlich versuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotchi eine Neuauflage des Getreidedeals zu vermitteln. Putin lehnte dies ab und wiederholte neuerlich die Kritik Russlands, dass - obwohl 2022/23 ein Rekord-Weizenexport zu Buche steht - seine Agrar- und Düngerexporte durch westliche Sanktionen behindert würden und eine Aufhebung Bedingung für ein Einlenken beim Getreidedeal wären. Rund um diese Gespräche war dann davon die Rede, dass die Türkei allenfalls als "Vermittler" Weizenlieferungen Russlands übernehmen und von ihrem Gebiet aus dann an bedürftige Länder des Südens weiterleiten könnte. Beobachter sehen darin einen möglicherweise schlauen Schachzug Erdogans, mit Putin einen für die Türkei lukrativen Deal einzufädeln, künftig russisches Getreide exklusiv am Weltmarkt zu verteilen. Erdogan und Putin pflegten bislang ungeachtet der NATO-Mitgliedschaft der Türkei und der westlichen Sanktionen gegen Russland wegen seines Überfalls auf die Ukraine ein relativ freundschaftliches Verhältnis. So vermittele Erdogan für die UNO den im Sommer 2022 abgeschlossenen und im heurigen Sommer von Russland aufgekündigten Getreidedeal zu sicheren Exportrouten für ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer. Zudem war die Türkei schon zuvor einer der wichtigsten Kunden für Weizenexporte Russlands. Nach diesem Geschäftsmodell vermahlen türkische Mühlen große Mengen russischen Weizens für den Reexport in Länder des Nahen Osten.
 
In der EU und Österreich verfolgt man kritisch, wie die Union und ihr polnischer Agrarkommissar mit der Forderung der fünf an die Ukraine angrenzenden Frontline-Staaten umgehen werden, die eigentlich den Binnenmarktregeln widersprechenden Importbeschränkungen dieser EU-Mitglieder über Mitte September hinaus vorerst bis zum Jahresende zu verlängern. Janusz Wojciechowski unterstützte kürzlich diese Forderung entgegen der von der EU-Kommission vertretenen Linie. Offensichtlich als Köder für einen Deal brachte er Transportkostenzuschüsse der EU von bis zu 30 Euro/t und im Umfang von insgesamt bis zu 600 Mio. Euro für ukrainische Exporteure für die Verbringung von Getreide in EU-Häfen und die dortige Verschiffung ins Spiel.
 
In Österreich befürchtet insbesondere die Landwirtschaft, bei einer derartigen Verlängerung der Einfuhrverbote für einzelne Mitgliedstaaten dann quasi selber zum Frontline-Staat zu werden, indem hier ukrainisches Getreide im ersten Land ohne Importrestriktion abgeladen werde.
 
Nachfrage nach Mahl- und Qualitätsweizen aus Österreich
 
In Österreich nahm der Brotgetreidemarkt im August Fahrt auf. Inländische Mühlen deckten ihren Bedarf an Mahl- und Qualitätsweizen für die vorderen Termine. Auch aus Deutschland sei Nachfrage nach Mahl- und auch Futterweizen gekommen. Knappe Logistikkapazitäten setzten dem Handel allerdings Grenzen. Mahlweizen hätte auch in Italien Anklang gefunden. Der dort gewöhnlich nachgefragte Premiumweizen sei aber wegen der heuer heterogenen Qualität gegenüber dem Mitbewerb aus den USA oder Kasachstan preislich noch nicht konkurrenzfähig. Die Nachfrage aus Deutschland und Italien nach österreichischem Mahl- und Qualitätsweizen sei zuletzt auch auf verhaltene Abgabebereitschaft gestoßen. Die Lagerhalter, so heißt es in Branchenkreisen, dürften unabhängig von den Kursentwicklungen an der Euronext ein eigenständiges Marktsegment in Europa im mittleren Qualitätsbereich besetzen und versuchen, angesichts verbreiteter Qualitätsprobleme ein entsprechendes Preisniveau zu etablieren. Am Mittwoch dieser Woche befestigte sich dem folgend an der Wiener Produktenbörse die Notierung für Qualitätsweizen entgegen den Kurstrends in Paris. 
 
Allgemein seien die Umsätze am Brotweizenmarkt in der abgelaufenen Geschäftswoche aber eher wieder bescheiden geworden, da die Mühlen hierzulande erst einmal den notwendigsten kurzfristigen Bedarf gedeckt hätten und andererseits die Abgeberseite keine Engpässe beim Lagerraum drückten.
 
Neue Qualitätsstufen bei Vermarktung der Ernte 2023 gebildet
 
An der Wiener Produktenbörse notiert diese Woche aktuell bei den Brotweizen nur Qualitätsweizen mit 265,00 bis 287,00 Euro/t - also mit einer deutlichen Qualitätsprämie gegenüber der Euronext. Die Letztnotierungen für Premiumweizen vom 23. August erreichten im Schnitt des Preisbandes 305,00 Euro/t und die von Mahlweizen 222,50 Euro/t. Die Notierung von Premiumweizen sei vom Kursblatt verschwunden, weil er zu diesem Preis nicht absetzbar sei, und jene vom Mahlweizen, weil ihn zu diesem Preis offensichtlich keiner mehr hergeben wolle.
 
Überhaupt bilden sich aus der Ernte 2023 wegen der ungewöhnlichen Qualitätsverteilung im Handel über die bekannten Qualitätsabstufungen hinaus neue - von Keksweizen bis etwa zu Mahlweizen mit 13,5% Protein. Diese werden nun auch an der Wiener Produktenbörse notiert. Dem Vernehmen nach fänden diese Qualitätsstufen auch eine entsprechende Nachfrage und würden die Chance eröffnen, über die zuletzt gesunkenen Preise der klassischen Qualitäten hinausgehende Erlöse in den jeweiligen Nischen zu generieren. Dies wird in der Landwirtschaft aufmerksam und kritisch verfolgt, nachdem die Akontoleistungen im heurigen Sommer aus den verschiedenen Vermarktungsmodellen mit Anzahlung und Endabrechnung als "äußerst vorsichtig" wahrgenommen wurden.
 
Zurückhaltend bleibt die Abgabebereitschaft beim auch hierzulande durchwachsenen Mahlroggen angesichts kolportierter Qualitätsprobleme in Deutschland und Polen. Immer stiller wird es um Ölsaaten, regionale Ölmühlen setzen immer mehr Quotierungen und auf immer spätere Termine aus.
 
Wirtschaftslage bremst Nachfrage und Verarbeitungstätigkeit 
 
Zu tendenziell gesunkenen Preisen wurde etwas Futtermais neuer Ernte gehandelt, wobei es heißt, es bestünden noch Überlager aus der Ernte 2022 und Verarbeiter - auch von Industriemais - würden noch die Erfüllung aufgeschobener "Altkontrakte" abarbeiten, wobei eine schwache Nachfrage Verarbeitungsprodukten nach wie vor gedrosselte Produktionstätigkeiten zur Folge habe. Somit rechnet man damit, dass die in Kürze startende Nassmaiskampagne heuer über einen längeren Zeitraum erstreckt werde.
 
Allgemein sei als Folge der schlechten allgemeinwirtschaftlichen Stimmung und der Inflation jüngst in Österreich ein Nachfragerückgang bei Agrarrohstoffen und ihren Verarbeitungsprodukten - konkret in Gestalt gesunkener Getreide-Marktleistung, Vermahlung und industrieller Verarbeitungsmengen - zu beobachten gewesen. Zudem heißt es, finde in der Bäckerbranche ein Strukturwandel statt, indem das mittlere Preis- und Qualitätssegment Rückgänge verzeichne, am unteren Rand des Spektrums hingegen die Billigschiene und am oberen das Spezialitätensegment boome.
 
Neue Warenströme haben sich gebildet - Logistikengpässe als Herausforderung
 
Die Suche der Ukraine nach alternativen Exportrouten für den blockierten Schwarzmeerkorridor, ein höherer Anteil an schwächeren Qualitäten im Segment von Futter- und Industriegetreide aus der Ernte 2023 in unseren Breiten sowie bedeutende Überlager aus dem vorigen Wirtschaftsjahr ziehen eine Änderung gewohnter Warenströme und Handelswege nach sich. So sollen etwa regelmäßig Zielzüge zwischen dem an die Ukraine grenzenden EU-Raum und Italien mit vorwiegend Mais aus der Ukraine unterwegs sein. Mit Kroatien habe die Ukraine vereinbart, von Adriahäfen aus, Getreide nach Übersee zu verschiffen. Die damit verbundene stärkere Nachfrage nach Logistik wird wegen der aufgrund hoher Kosten und der schlechten allgemeinwirtschaftlichen Lage aktuell verknappten Kapazitäten als besondere Herausforderung empfunden. 
 
Internationale Getreidepreise wieder unter dem Niveau vor Ukraine-Krieg
 
An der Euronext in Paris fielen etwa die Kurse des Mahlweizens und von Mais deutlich unter das Niveau vor Kriegsausbruch in der Ukraine. So schloss der in Kürze als vorderster Liefertermin stehende Dezember-Mahlweizenkontrakt an der Euronext am Donnerstag dieser Woche mit 237,25 Euro/t, während die vergleichbaren Schlusskurse im Februar 2022 vor der russischen Aggression zwischen 260 und 270 Euro/t gelegen waren. Beim November-Maiskontrakt in Paris stehen einem Schlusskurs von 214,00 Euro am Donnerstag dieser Woche solche zwischen 250 und 260 Euro/t im Februar 2022 gegenüber. Die November-Rapstermin erzielten vor Ausbruch des Ukraine-Krieges - auch aufgrund einer sehr kleinen Ernte in der EU 2021- noch zwischen 680 und 700 Euro/t und lagen am Donnerstag aktuell bei 459,75 Euro/t.
 
Der vom internationalen Getreiderat IGC erhobene Preisindex für Weizen fiel im August gegenüber Juli um 6,3% und zum Vorjahr um 20,2%, jener von Mais um 5,2% im Monats- und um 25,4% im Jahresabstand, der von Gerste um 2,0% beziehungsweise 28,3% sowie der von Sojabohnen um 5,3% gegenüber Juli respektive 12,4% zum Vorjahr. (Schluss) pos
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