Wiener Produktenbörse begrüßte rund 3.350 Teilnehmer zu 59. Europäischer Warenbörse

Dietrich: Wien ist heute Getreidehauptstadt der Welt - Vermeulen: Rekordbesuch bei EWB
Die Börse für Landwirtschaftliche Produkte in Wien begrüßte als Veranstalter der 59. Europäischen Warenbörse am 17. und 18. Oktober in Wien rund 3.350 Vertreter aus der Getreide-, Ölsaaten- und Futtermittelbranche aus 61 Ländern und von fünf Kontinenten.
Die Wiener Produktenbörse ist eine der 37 in der Europäischen Warenbörse (EWB) zusammengeschlossenen Warenbörsen. "Der an der monumentalen Giebelfassade unseres Börsegebäudes prangende Leitspruch 'In usum negotiatorum cuiuscumque nationis ac linguae' - 'Den Kaufleuten aller Völker und jeder Sprache gewidmet' könnte nirgendwo besser mit Leben erfüllt werden als bei diesem Großereignis. Wien ist heute Getreidehauptstadt der Welt. Wir fühlen uns auch besonders geehrt, die Europäische Warenbörse im Jubiläumsjahr unseres 150-jährigen Bestandes ausrichten zu dürfen", so der Präsident der Börse für Landwirtschaftliche Produkte in Wien, Josef Dietrich. Der Präsident der EWB, Matthé Vermeulen, bezeichnet den Getreide-, Saatgut- und Futtermittelhandel als "beste Geschäftssparte, in der man arbeiten kann. Man schließt Freundschaften überall auf der Welt. Unsere Europäische Warenbörse ist der beste Beweis dafür." Er sprach von einem Rekordbesuch bei der EWB in Wien. Vermeulen äußerte aber auch Besorgnis, dass der Branche besonders schwierige Zeiten bevorstünden.
Die Besorgnis bestehe in der Gefährdung des freien Handels, des freien Zugangs zu Märkten und zur Versorgung mit Rohstoffen sowie des ungehinderten Warentransports. "Die politischen Turbulenzen der letzten zwei Jahre und der wachsende Protektionismus sind eine ernste Bedrohung des zentralen Ziels des Agrarhandels. Die weltweiten, logischen Warenströme unserer landwirtschaftlichen Produkte sind völlig aus den Fugen geraten. Aufgrund dieser Turbulenzen, die jeden Tag Änderungen bringen, kann niemand sagen, was am nächsten Geschäftstag geschehen wird. Natürlich schafft das auch neue Möglichkeiten. Aber die Käufer sowie die Verkäufer und die Erzeuger stehen vor neuen und schweren Risiken." Vermeulen sieht eine der Aufgaben der Zukunft für die EWB darin, enger zusammenzuarbeiten und auf Behörden einzuwirken.
 
Konkret kritisierte Vermeulen, dass die EU ihre Regeln, etwa beim Pflanzenschutz oder bei Grenzwerten, schneller ändere als sich ihre Handelspartner und Lieferanten anpassen könnten. "Eine längerfristige Zeitplanung der Politik ist notwendig."

Dietrich: Teilnehmerzahl zeigt Wunsch nach persönlichem Gespräch

Der eindrucksvolle Zulauf zu der einmal jährlich an einem anderen Mitgliedsstandort ausgetragenen Europäischen Warenbörse bestätige, so Dietrich: "Je weiter die Digitalisierung unserer Welt voranschreitet, umso stärker wird gleichzeitig das Bedürfnis nach dem persönlichen Kennenlernen und Gespräch, der Bildung von Vertrauen sowie letztlich nach Handschlagqualität in unserem Geschäftsleben." Dies bewahrheite sich insbesondere in diesen Tagen, in denen die Europäische Union um die Modalitäten für den Austritt eines ihrer Mitglieder ringt und der internationale Handel und seine multilateralen Regeln durch bilaterale Konflikte infrage gestellt werden.

Leistungen der Warenbörsen für funktionierenden Handel - guter Draht zu Landwirtschaft

Die in der EWB vereinigten Börsen sind Warenbörsen. Diese unterscheiden sich von Terminbörsen dadurch, dass an ihnen ausschließlich physisch getätigte Geschäfte geschlossen und abgewickelt werden und sie sind, so Dietrich, Begegnungsbörsen. "Der Börse ist immer wichtig, dass wir einen guten Draht zur Landwirtschaft haben. Sie stellt auch eine Reihe von Börseräten", wies Dietrich auf die Anwesenheit unter anderem des Präsidenten der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, Johannes Schmuckenschlager, und des Präsidenten der Landwirtschaftskammer Wien sowie Verwaltungsratsvorsitzenden der Agrarmarkt Austria (AMA), Franz Windisch, hin.
 
Terminbörsen dagegen dienten der Preisabsicherung und nicht der Spekulation. Sie seien deshalb für die Branche genauso wichtig. Da die Agrarmärkte global zunehmend liberalisiert sind und sich die Staaten immer stärker aus deren Regelung zurückziehen, kommt den Warenbörsen mit ihren Funktionen für Markttransparenz und Rechtssicherheit wachsende Bedeutung im Handel zu.
 
Diese Funktionen sind die - in Wien wöchentlich stattfindende - Notierung von Preisen tatsächlich stattgefundener physischer Geschäfte, die Aufstellung von Regeln für den Handel durch die Beschlussfassung sogenannter Usancen sowie die Durchsetzung dieser Regeln und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten durch die Schiedsgerichtsbarkeiten, wie etwa mit unmittelbar exekutierbaren Sprüchen des Schiedsgerichts an der Wiener Produktenbörse. Laut Dietrich habe das Wiener Schiedsgericht zehn bis 20 Fälle pro Jahr zu behandeln.

"Mit ihren Funktionen sind Warenbörsen moderne Dienstleistungsunternehmen. Sie leisten wichtige Beiträge für alle Marktbeteiligten entlang der Wertschöpfungskette von der agrarischen Urproduktion über Handel und Logistik von Agrargütern bis hin zu deren Verarbeitung und Vermarktung an den Endkunden. Die Warenbörsen sind sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst, nehmen diese gewissenhaft an und werden in Zukunft noch stärker ihrer Rolle als Regulativ und Plattform der Begegnung sowie Vertrauensbildung gerecht werden", beschreibt Dietrich aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Warenbörsen.

150 Jahre Produktenbörse Wien: Vom Zentrum der Donaumonarchie zu dem Mitteleuropas

Die 1869 als autonome Institution gegründete Börse für Landwirtschaftliche Produkte in Wien war Dreh- und Zentralpunkt des Handels für einen in der Donaumonarchie vereinten Vielvölkerstaat mit 50 Mio. Einwohnern. Ihre gesetzlichen Rahmenbedingungen entstanden aus der Notwendigkeit, in diesem Großraum Handel und Kauf der wichtigsten Nahrungsmittel auf Basis von Warenmustern zu ermöglichen und in geregelte Bahnen zu lenken. "Wien kann stolz sein auf 150 Jahre Börse, denn das Zusammenbleiben trotz Wettbewerbs innerhalb der Branche ist nicht einfach", so Vermeulen.

Die Anerkennung und Inanspruchnahme der Notierungstätigkeit, der Usancen und des Schiedsgerichts in ganz Mitteleuropa hat den Börseplatz Wien nach einer wechselvollen Geschichte wiederum zu einem Zentrum des Agrarhandels in Mitteleuropa entwickeln lassen. Dies zeigt auch der rege Zuspruch der seit 2006 jährlich in Wien zusammentreffenden internationalen Donaubörse.

EWB diskutierte spannende Marktlage

"Klimawandel und Politik verunsichern Märkte und schaffen Bedarf an Begegnung. So befinden sich auch die Agrarmärkte in diesen Tagen in einer besonders spannenden, zunehmend von Klimawandel sowie Politik unberechenbarer gemachten Phase und liefern Gesprächsstoff", so Dietrich: Nach Weizen, obwohl weltweit reichlich vorhanden, setzt rege Exportnachfrage ein. Es herrscht aber ein harter Wettbewerb zwischen den großen Exporteuren um die Preisführerschaft. Gleichzeitig wächst nach Dürren die Sorge um Ertragsausfälle auf der Südhalbkugel und nach zu viel Niederschlägen um die Qualitäten der Sommerweizen in Nordamerika. Die weltweiten Maislager schmelzen auf ein Sechsjahres-Tief ab. Handelspolitische Konflikte und die Ethanolpolitik verunsichern jedoch den internationalen Handel. Und obwohl die EU insgesamt große Mengen Mais importieren muss, herrscht in der zentraleuropäischen Binnenlage eine Überschusssituation und drücken starke Importströme aus Osteuropa auf die Preise. Bei den Ölsaaten verschob der Konflikt zwischen USA und China die internationalen Handelsströme, führte die Preise mit wechselnden Eskalationsszenarien auf eine Hochschaubahn und leidet der Rapsanbau in der EU neben klimabedingten Risiken unter politisch verordneten Einschränkungen von Betriebsmittelzulassungen. Dietrich: "All diese fundamentalen Daten, klimatischen und politischen Einflüsse bestärken den Bedarf an Dialog, an der persönlichen Begegnung in der Branche und zeigen den Bedarf an einer Plattform dafür, wie sie die Europäische Warenbörse bietet."
 
Aktuelles Thema war unter anderem, dass nach dem katastrophalen Wintereinbruch im Norden der USA und in Kanada die Durum- und Premiumweizenpreise stark im Aufwind seien, so Börse-Vizepräsident Ernst Gauhs. Das Tagesgeschäft gehe in verschiedene Richtungen und sei wegen der Nervosität der Märkte extrem unberechenbar. "Deshalb ist es besonders wichtig, im Handelsgeschäft langjährige Beziehungen zu pflegen." Börse-Vizepräsident Peter Gartner sprach die Logistik als Herausforderung an. Zurzeit kämpfe man damit, in Österreich - auch wegen der laufenden Nassmaiskampagne - große Mengen bewegen zu müssen. EU-weit liefen die Exporte zurzeit zufriedenstellend, weltweit seien aber große Weizenreserven vorhanden und die Politik sei sehr unberechenbar.
 
Abgerundet wurde das Programm der EWB in der Kongressstadt Wien von Kultur und Kulinarik mit einer Vorstellung der Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule und einem Galadiner im Prunksaal der Nationalbibliothek.

Download